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Der alte Pfarrer und seine Magd Maria

Ein Mord, begangen im Pfarrhaus Starrkirch-Wil, der nie restlos aufgeklärt wurde

Am frühen Morgen des 18. Januar 1782 wurde der Pfarrer von Starrkirchin seinem Bett ermordet. Die beiden Mägde im Haus konnten die Bluttat nicht verhindern. Die Täter wurden nie gefasst. Der Kapuziner, der nach dem Mord die Pfarrei betreute, orientierte in verschiedenen Berichten seinen Guardian über Mordfall.

Hochwürdiger Herr Pater Guardian, mein lieber Bruder Johannes! Du hast mich vor meiner Abreise nach Starrkirch gebeten, alles, was ich im Mordfall an Pfarrer Joseph Gyonnet in Erfahrung bringen kann, aufzuzeichnen und Dich regelmässig zu orientieren. Was also bis heute bekannt ist, ist Folgendes: Am frühen Morgen des 18. Januar dieses Jahres es soll kurz vor 4 Uhr gewesen sein sind zwei fremde Männer, einer davon mit einer Laterne ausgerüstet, durch das Loch des Hühnerhauses in das Pfarrhaus eingeschlichen. Die beiden Einbrecher sind dann in die Schlafkammern der Mägde eingedrungen und verlangten, dass sie ins Schlafgemach des Pfarrers geführt würden. Die ältere der beiden Mägde, die 46-jährige Katharina Schönenberger, Köchin, aus Wangen, habe nun den Pfarrer warnen wollen. Aber einer der Einbrecher sei ihr nachgeschlichen und habe den Pfarrer, der sich im Bett aufrichtete, mit einer Kugel aus seinem Revolver erschossen. Unterdessen hat nach eigenen Aussagen die zweite Magd, namens Maria Ursula Hasenfratz, von Trimbach, 23 Jahre alt, die Flucht ergriffen, ist nackt aus dem Haus gerannt und hat die Nachbarn um Hilfe gerufen. Mittlerweile weiss ich nur, dass auch Urs Bumann der Ältere, von Starrkirch, Nachbar, und Christen Bumann, Sigrist von Starrkirch, ebenfalls Nachbar, die Aussagen der beiden Mägde bestätigt haben.»

Stammt der Mörder aus dem Dorf?
«Hochwürdiger Herr Pater Guardian, lieber Bruder Johannes. Im Mordfall von Pfarrer Joseph Gyonnet hält sich im Dorf das hartnäckige Gerücht, dass eventuell Jakob Bumann, des Schwarzen Dursen Sohn, von hier, in den Mordfall verwickelt gewesen sein könnte. Der junge Bumann sei mit dem Pfarrer verfeindet gewesen. In der Tat habe ich in den Briefschaften des Pfarrers jetzt auch die Abschrift eines Schreibens des Pfarrers an den Schultheiss von Olten gefunden, in dem sich Pfarrer Gyonnet beklagt, dass Jakob Bumann sich sehr abfällig in ärgerlichen, schand- und schmachvollen, meinem Charakter als Pfarrherrn sehr abträglichen Reden geäussert hat, nur weil ich als Pfarrer ihn von seinem bekannten ärgerlichen Luderleben abgemahnt haben. Der Pfarrer fügt dann am Ende des Briefes eine Reihe von Flüchen und Übernamen an, die Bumann öffentlich gegen den Pfarrer ausgesprochen haben soll. Dann schreibt der Pfarrer abschliessend: Viele andere schändliche Namen, die er mir gegeben hat, mag ich und kann ich hier, weil sie wehtun, gar nicht anführen. Aber, lieber Bruder Johannes, das Gericht wird nun herauszufinden haben, ob Bumann wirklich am Mord beteiligt war. Persönlich bezweifle ich das, und dasselbe tun auch viele im Dorf, mit denen ich darüber gesprochen habe».

Ein sehr vermögender Geistlicher
«Lieber Pater Guardian und Mitbruder Johannes. Jetzt zeigt sich, dass der verstorbene Pfarrer Gyonnet offenbar ein sehr vermögender Geistlicher war und die Verwandtschaft das auch wusste. Man spricht von 12 000 Gulden, die der Pfarrer hinterlassen haben soll. Entsprechend nahm auch nach dem Tod des Pfarrers der Zulauf der Verwandten und Erben in den letzten zwei Wochen zu. Das Pfarrhaus war zeitweise so überfüllt, dass ich als hiesiger Seelsorger nächteweise das Bett mit einem Mann weltlichen Standes teilen oder verschiedene Male gar auf den harten Stühlen habe schlafen müssen. Aber jetzt hat der Schultheiss von Olten die Räumlichkeiten des Pfarrhauses versiegeln lassen. Dies sei notwendig geworden, meinte er, weil die Erben viel vom vorhandenen Brot, Fleisch und Wein aufgebraucht hätten und auf Kosten des verstorbenen Pfarrer sogar noch rund acht Pfund Kaffee von Olten ins Pfarrhaus bestellt hätten. Jetzt hat der Schultheiss angeordnet, dass nur noch drei Zimmer offen bleiben: Eines für den jeweiligen Seelsorger, der die Pfarrei betreut, eines für die beiden Mägde und eines für den Wächter, der mittlerweile für die Bewachung des Hauses eingestellt wurde. Im übrigen will sich der Schultheiss jetzt beim Rat in Solothurn dafür einsetzen, dass die beiden Mägde auch einen Anteil an der Hinterlassenschaft des Pfarrers erhalten. In einem Brief an den Rat schrieb der Schultheiss, die eine der beiden Mägde sei 46 Jahre alt und habe 21 Jahre lang um einen sehr bescheidenen Lohn gedient und bis zum Tod des Pfarrers ausgeharrt. Die zweite Magd, die 23-jährige, habe in der Mordnacht Mut bewiesen. Sie habe unter Lebensgefahr nackt um Hilfe gerufen und dadurch die 1160 Gulden gerettet, die damals im Pfarrhaus vorhanden gewesen seien. Der Schultheiss schlägt jetzt dem Rat vor, die Verwandtschaft möge jede der beiden Mägde mit einem Bett abgelten und der älteren dazu noch 100 Gulden geben.»

Der mysteriöse «Schneckensepp» ...
«Lieber Pater Guardian, lieber Bruder Johannes. In der Befragung vor Gericht, hat sich ergeben, dass der verdächtigte Jakob Bumann am Mord im Pfarrhaus nicht beteiligt werde. Bumann konnte Zeugen beibringen, die beschworen, dass Bumann in jener Nacht gar nicht in Starrkirch gewesen sei. Dagegen hat nun der Landjäger von Gretzenbach, Johannes Lehmann, dem Schultheiss berichtet, dass er am Wochenmarkt in Aarau einen gewissen Josef Michel Luntz aus dem Badischen getroffen hat, der ausgesagt habe, er kenne den Mörder des Pfarrers von Starrkirch. Er werde Schneckenseppð genannt und halte sich gewöhnlich im Fricktal auf. Dieser Schneckensepp soll sich gegenüber Luntz so geäussert haben: Er habe im Solothurnischen einen Pfaff fertig gemacht. Er frage diesen Hurenbuben nichts nach. Er kenne sogar noch einen andern, der auch noch dran glauben müsse. Im Übrigen soll der Schneckensepp auch schon auf dem Aarauer Markt gewesen sein. Man wird nun sehen müssen, ob man diesen Schneckensepp fassen kann.»

... oder doch ein anderer Täter?
«Lieber Pater Guardian, lieber Bruder Johannes. Es hat sich herausgestellt, dass Pfarrer Gyonnet in Starrkirch nicht nur Freunde, sondern auch Neider hatte, und dass in jener Nacht vom 18. Januar im Pfarrhaus neben Raubmord vielleicht auch noch ganz andere Motive im Spiele waren. Nach einem langen Gespräch mit der älteren Magd Katharina Schönenberger, die21 Jahre lang Köchin bei Pfarrer Gyonnet war, hat es halt schon Leute in Starrkirch gegeben, die nicht verstanden, dass der alte Pfarrer nun plötzlich auch noch eine zweite Magd und gerade mal eine zwanzigjährige eingestellt habe. Die Tatsache, dass die Maria Ursula Hasenfratz in der Mordnacht nackt geflohen ist, habe natürlich schon seine Gründe gehabt. Aber der greise Pfarrer sei solchen Verdächtigungen immer mit zwei Hinweisen entgegen getreten: Erstens habe er sich schon immer strikt an den Zölibat gehalten, und zweitens hätten die Israeliten schon dem greisen und immer frierenden König David das junge Mädchen Abisag ins Bett gegeben, um sich an ihm zu wärmen. Denn auch David sei damals so alt gewesen, dass er mit der schönen Abisag keinen Beischlaf gehabt habe. Aber viele in der Gemeinde hätten dem Pfarrer diese Version der Geschichte natürlich nicht abgenommen, sagte die Magd Schönenberger, auch wenn sie so in der Bibel (1. Könige 1,1ff) festgehalten ist.

Quelle: Lukas Walter, Dulliken im Spiegel seiner Vergangenheit, Dulliken 1966.